DER VERWANDLER (2018)

DER VERWANDLER (2018)

for mixed chamber choir and orchestra
Libretto by Aleš Šteger

orchestra: 3*.3.3*.3*/4.4.3.1/timp/4perc/arp/14.12.10.8.6
choir: 7S.7A.7T.7B
duration: 25 minutes
première: February 10, 2019, Theaterhaus Stuttgart, Festival Eclat 2019, Germany
SWR Vokalensemble, SWR Symphonieorchester
Conducted by Brad Lubman
Choirmaster: Michael Alber

Commissioned by the SWR

DER VERWANDLER

score preview

VIDEO

DER VERWANDLER: Full recording
February 10, 2018 (première)
Festival Eclat Stuttgart 2019
SWR Symphonieorchester
SWR Vokalensemble
Brad Lubman, conductor
Choirmaster: Michael Alber
DER VERWANDLER: Full recording
February 10, 2018 (première)
Festival Eclat Stuttgart 2019
SWR Symphonieorchester
SWR Vokalensemble
Brad Lubman, conductor
Choirmaster: Michael Alber
DER VERWANDLER: Sound of porcelain bells from Meissen
© 2019 by SWR Classic
DER VERWANDLER: Sound of porcelain bells from Meissen
© 2019 by SWR Classic

PHOTO

Der Verwandler ©2020 Ras Rotter

ABOUT

DER VERWANDLER (The Transmuter), for mixed choir and orchestra, received its première at the 2019 Eclat festival in Stuttgart. ‘The transmuter’ in this case is the alchemist Friedrich Böttger (1682 – 1719), who was incarcerated by August the Strong on the basis of his claims to know the secret of transmuting lead into gold, but whose principal achievement as an alchemist lay not in that fabled transmutation, but in the discovery of how to manufacture porcelain, the secret of which had hitherto been closely guarded by China. This composition, for which Žuraj researched the qualities of porcelain bells, and even had a set of porcelain wind-chimes especially manufactured at the porcelain factory in Meissen, deals with questions of appearance and reality, both in terms of substance and in terms of intrinsic worth; for instance, the Kaolinite that is the chief component of porcelain is of little value in itself, but is of untold worth when combined with other substances in the ceramic production process.

Aside from the obvious thematic connection to the work via the use of porcelain and oriental materials, these instruments are typified by unusual overtone structures, which provide a harmonic connection with Žuraj ‘s use of microtonal pitch-structures. In turn, the work’s harmonies are orchestrated to imitate the distinctive timbres of the bambuso sonoro, a form of bamboo organ; here, then, we have novel instruments mirroring instrumentation, and instrumentation that mimics a novel instrument. In addition to alchemy and the discovery of porcelain, the libretto of Der Verwandler alludes to a number of other industrial and cultural achievements, some of more dubious provenance, in what Žuraj refers to as a journey ‘through the history of creative processes, real and imagined.’

Alwyn Tomas Westbrooke

Porzellan – Kecak – Bambusorgel. Schaffensprozesse zwischen Lüge und Wahrheit

Vito Žuraj im Gespräch mit Lydia Jeschke, Baden-Baden, 19.12.2018

LJ: DER VERWANDLER heißt Dein neues Stück – wer oder was verwandelt sich da?
VZ: Es verwandelt sich Blei zu Gold oder Gold zu Leben… es geht um die Darstellung eines Schaffensprozesses, die Umwandlung einer Idee in Realität.
Ausgangspunkt des ganzen Werks ist die Erfindung des deutschen Porzellans in Meißen durch Johann Friedrich Böttger. Böttger war ein Alchimist, der angab, er könne aus wertlosen Materialien Gold schmieden. Das konnte er natürlich nicht. Als August der Starke ihn dann verpflichtete, Gold zu machen, wusste er, dass das wahrscheinlich nicht zustande käme. Er musste dem Kurfürsten also irgendetwas Anderes geben, denn es war bekannt: Alchimisten, die ihr Versprechen nicht hielten, wurden erhängt. Böttger wusste, dass August der Starke ein Verehrer des Porzellans war. Und so hat er parallel zu der Erfindung von Gold an einer Rezeptur für etwas gearbeitet, das Porzellan vortäuschen sollte. Am Ende erfand er so, ohne das chinesische Rezept zu kennen, echtes Porzellan.
LJ: Wir befinden uns dabei in der Zeit um 1700. In Europa gab es damals keine Rezeptur für Porzellan – das allerdings in China schon lange existierte.
VZ: Richtig, ja, die Chinesen hatten die Rezeptur bis dahin streng geheim gehalten. 2019 jährt sich nun der Todestag Böttgers zum 300. Mal – und das hat den Librettisten Aleš Šteger auf die Idee gebracht, sich mit diesem Stoff zu beschäftigen.
LJ: Also ist er auf die Idee gekommen, daraus ein Stück zu machen?
VZ: Ja, Aleš Šteger, der slowenische Dichter; der hervorragend Deutsch spricht und unter anderem Mitglied der Berliner Akademie der Künste und kein Unbekannter den deutschen Lesern,– er schreibt zuerst auf Slowenisch, arbeitet dann zusammen mit dem deutschen Dichter Matthias Göritz an der deutschen Nachdichtung. In meinem Stück arbeite ich mit der deutschen Version des Textes. Aleš erzählt darin aber nicht die Geschichte von Böttger und er will daraus auch keine Bühnenhandlung machen. Vielmehr geht es darum, auf verschiedenen Ebenen zu erläutern, wie ein Künstler seine Lebensenergie in einem Werk darstellt, das Verhältnis zwischen Existenz und Kreation, das auch sehr selbstzerstörend sein kann. Die Erleichterung nach dem Schaffensprozess unter Künstlern ist bekannt. Man denkt sich: geschafft! Ich muss nie mehr durch diese Quälerei gehen und so viel opfern. Und schon kommt das nächste Werk und es geht von vorne los.
LJ: Wir bekommen also nicht die Geschichte von Böttger erzählt – was steht in dem Text?
VZ: Es geht um den Schaffensprozess, aber auch um Echtes und Falsches, um Wahrheit und Fake. Aleš Šteger hat viel über Böttger gelesen und geforscht, dann aber hat er andere Dinge mit diesem Thema in Verbindung gebracht. Beispielsweise hat er auf Bali den Kecak-Tanz gesehen. Eine Touristenattraktion. Dabei scheint es, als würden die Touristen Zeugen eines uralten Rituals, in dem Männer im Kreis sitzen und sich in einer bestimmten Choreographie vorbeugen und wie Affen schreien. Es handelt sich aber in Wirklichkeit gar nicht um ein originäres Ritual, sondern um eine Nachbildung, um ein „best of“ von alten Ritualen, die der deutsche Maler und Forscher Walter Spies 1930 zusammengestellt hat. Kecak ist also nicht einmal hundert Jahre alt, doch alle Touristen denken, es handle sich um ein Ursprungs-Ritual. Für Aleš Šteger gibt es da eine Parallele zu Böttgers Gold- bzw. Porzellanmacherei. Es geht ein bisschen ums Faken, wie es oft bei Künstlern der Fall ist – der Künstler erzählt eine Lüge, um die Wahrheit anzudeuten. Und im Fall von Böttger hieß das: Er wollte Porzellan faken, also irgendwie nachahmen, und herausgekommen ist etwas Richtiges: Meißner Porzellan ist von höchster Qualität. Und heute gehören die Chinesen zu den besten Meißner Kunden.

LJ: Dieser Bali-Tourismus-Fake kommt in Deinem Stück vor?
VZ: Das ist eine der musikalischen Ebenen. Porzellan musikalisch zu formulieren, fiel mir zunächst schwer. Kecak gibt mir eine rhythmische Vorlage, die ich dann in unterschiedlichen Tempi aufgreife und darstelle, auch im Ritardando und Accelerando. Am Ende entsteht eine Art „ewiges Accelerando“ als Verwandlungsmoment, das dann in einem echten Porzellanklang endet. Denn die Meißner Porzellanmanufaktur hat für das Stück Instrumente aus Porzellan zur Verfügung gestellt.
LJ: Als Du mit dem Stück begonnen hast, war noch nicht klar, dass es diese Porzellanklänge geben würde, oder?
VZ: Erst im Laufe der Arbeit kam ich auf die Idee, die Meißner Manufaktur zu kontaktieren. Der ehemalige Professor der Dresdner Musikhochschule Günter Schwarze, bei dem ich früher als Erasmus-Stipendiat Unterricht hatte und der als Spezialist für Meißner Porzellanglocken gilt, hat mir viele Informationen v.a. über die Porzellanglocken gegeben. Und so kam ich bestens vorbereitet zu einem Termin in der Meißner Porzellanmanufaktur.
LJ: Ende Oktober 2018 bist Du zusammen mit einem Schlagzeuger nach Meißen gefahren – was gab es dort zu tun?
VZ: Ich war mit dem Schlagzeuger Alexej Bröse von der Dresdner Philharmonie in der Manufaktur und wir haben die Glocken im Glockenlager gemeinsam angeschaut, angeschlagen, angestrichen. Ich habe für mein Stück eine Glockenreihe von 19 Glocken ausgewählt: Nicht ganz zufällig die Zahl 19, denn es geht ja um das Jahr 2019 bzw. 1719. Zwei Schlagzeuger spielen die Glocken im Stück, jeder hat neun Glocken zu bedienen und in der Mitte gibt es noch eine große Glocke, die beide Interpreten spielen können. Ich finde den Klang der Glocken besonders (und das ging auch dem Schlagzeuger so), weil man ja im Orchester eher an Metall, Holz oder Kunststoff gewöhnt ist. Angestrichenes Porzellan ist selten zu hören. Wir waren beide überrascht, wie vielfältig der Klang ist und auch: wie laut.
LJ: Ich hätte gedacht, dass es ein sehr feiner Klang ist, der nicht lange nachhallt.
VZ: Die Glocken hallen ziemlich lange nach, nicht extrem laut, aber doch präsent. Und je nach Glockengröße ergeben sich unterschiedliche Obertonstrukturen.
LJ: Die Porzellanglocken gab es in Meißen bereits, und sie wurden auch schon musikalisch eingesetzt. Ein anderes Porzellaninstrument wird nach Deinen Vorstellungen extra gebaut.
VZ: Ja, das war meine Idee. Die Wind Chimes, die einen neuen „echten“ Porzellanklang produzieren sollen, werden jetzt gerade gebaut. Wir hoffen, dass alles rechtzeitig zur Uraufführung heil in Stuttgart ankommt… Ich möchte aber noch auf etwas Anderes hinaus, was fürs Porzellanmachen wichtig ist: Porzellan wird gebrannt, in einem Ofen mit hohen Temperaturen. Dafür wurden zu Böttgers Zeiten extra Öfen konstruiert, die solch hohe Temperaturen erzeugen konnten.
LJ: Geht es in Deinem Stück um Hitze?
VZ: Es geht um die Verwandlung von etwas Wertlosen in etwas Wertvolles. Um Transformation und zugleich um den Preis, den man dafür bezahlen muss. Weiße Tonerde etwa hat zunächst kaum Wert – aber wenn dann alle anderen Zutaten: Quarz usw. dazukommen und das Gemisch gebrannt wird, kommt etwas heraus, das sehr teuer ist: „weißes Gold“. Darum geht es letztlich auch in der Kunst: Die Farben des Malers kosten nicht viel, aber das Gemälde ist später vielleicht Millionen wert. Bei der Musik ist es genauso. Tinte und Papier sind nicht besonders kostbar, aber daraus entsteht eine Mahler-Sinfonie, die dann vielleicht ewig gespielt wird.
LJ: Das ist also die Grundidee des Stücks: Es gibt banale Ausgangsmaterialien und am Ende kommt etwas Wertvolles dabei heraus. Heißt das auch kompositorisch: Am Anfang des Stücks gibt es ganz wenig und am Ende etwas Wertvolles?
VZ: Das ist dann doch etwas komplexer, nicht ganz so plakativ. Das sollte man auch nicht beschreiben, sondern besser hören.
LJ: Noch eine dritte musikalische Thematik gibt es in dem Stück, wieder etwas Überraschendes, irgendwie Exotisches…
VZ: Eine Art von Bambusorgel: Bambuso Sonoro. Eine Erfindung von Hans van Koolwijk aus Holland. Es handelt sich um Bambus-Pfeifen, die auf eine komplexe Weise miteinander und mit dem Gebläse verbunden werden. Es ist ein Instrument, das vieles kann, was der „normalen“ Orgel nicht möglich ist: Glissandi zum Beispiel und komplexe Oberton-Überblasungen. Dieses Instrument symbolisiert für mich das Prozesshafte; es ist wie ein Ofen, in dem Porzellan gebrannt wird.
Diese Orgel habe ich bei den Weltmusiktagen 2003 in Slowenien kennengelernt, dort wurde sie in einer Galerie ausgestellt und vorgeführt. Ihren Klang habe ich seither mit mir herumgetragen, ohne ihn zu verwenden – bis ein Pfeifton in einem Konzert des SWR Vokalensembles mich im Oktober darauf brachte, dass ich genau diesen Orgel-Ofen für mein Stück brauche. In diesem Moment nahm das neue Stück eine Wendung.
LJ: Das heißt, jemand spielt jetzt diese Orgel?
VZ: Nein, die Bambusorgel wird auf verschiedenen Ebenen durch andere Instrumente imitiert. Der Prozess ihrer spezifischen Klang-Entwicklung wird im Stück paraphrasiert.
LJ: Hast Du denn Zugang zu dieser Orgel?
VZ: Der Künstler hat mir damals eine CD gegeben, ich habe den Klang analysiert und ich weiß, wie das Instrument gebaut ist. Die Orgel hat keine Tastatur, sie wird mit Ventilen bedient, es gibt Glissandi und Oberton-Glissandi, und es entsteht ein Klang, der meinen harmonischen Strukturen sehr nah ist, die auch auf einer Obertonreihe basieren.
LJ: Wann wurde die Bambusorgel gebaut?
VZ: Das ist noch nicht so lange her, das Instrument ist vielleicht 25 Jahre alt.
LJ: Böttger – Kecak – Bambusorgel: Wir springen also quer durch die Geschichte in Deinem Stück.
VZ: So ist es. Quer durch die Geschichte tatsächlicher und vermeintlicher Schaffensprozesse.

Porzellan – Kecak – Bambusorgel. Schaffensprozesse zwischen Lüge und Wahrheit

Vito Žuraj im Gespräch mit Lydia Jeschke, Baden-Baden, 19.12.2018

LJ: DER VERWANDLER heißt Dein neues Stück – wer oder was verwandelt sich da?
VZ: Es verwandelt sich Blei zu Gold oder Gold zu Leben… es geht um die Darstellung eines Schaffensprozesses, die Umwandlung einer Idee in Realität.
Ausgangspunkt des ganzen Werks ist die Erfindung des deutschen Porzellans in Meißen durch Johann Friedrich Böttger. Böttger war ein Alchimist, der angab, er könne aus wertlosen Materialien Gold schmieden. Das konnte er natürlich nicht. Als August der Starke ihn dann verpflichtete, Gold zu machen, wusste er, dass das wahrscheinlich nicht zustande käme. Er musste dem Kurfürsten also irgendetwas Anderes geben, denn es war bekannt: Alchimisten, die ihr Versprechen nicht hielten, wurden erhängt. Böttger wusste, dass August der Starke ein Verehrer des Porzellans war. Und so hat er parallel zu der Erfindung von Gold an einer Rezeptur für etwas gearbeitet, das Porzellan vortäuschen sollte. Am Ende erfand er so, ohne das chinesische Rezept zu kennen, echtes Porzellan.
LJ: Wir befinden uns dabei in der Zeit um 1700. In Europa gab es damals keine Rezeptur für Porzellan – das allerdings in China schon lange existierte.
VZ: Richtig, ja, die Chinesen hatten die Rezeptur bis dahin streng geheim gehalten. 2019 jährt sich nun der Todestag Böttgers zum 300. Mal – und das hat den Librettisten Aleš Šteger auf die Idee gebracht, sich mit diesem Stoff zu beschäftigen.
LJ: Also ist er auf die Idee gekommen, daraus ein Stück zu machen?
VZ: Ja, Aleš Šteger, der slowenische Dichter; der hervorragend Deutsch spricht und unter anderem Mitglied der Berliner Akademie der Künste und kein Unbekannter den deutschen Lesern,– er schreibt zuerst auf Slowenisch, arbeitet dann zusammen mit dem deutschen Dichter Matthias Göritz an der deutschen Nachdichtung. In meinem Stück arbeite ich mit der deutschen Version des Textes. Aleš erzählt darin aber nicht die Geschichte von Böttger und er will daraus auch keine Bühnenhandlung machen. Vielmehr geht es darum, auf verschiedenen Ebenen zu erläutern, wie ein Künstler seine Lebensenergie in einem Werk darstellt, das Verhältnis zwischen Existenz und Kreation, das auch sehr selbstzerstörend sein kann. Die Erleichterung nach dem Schaffensprozess unter Künstlern ist bekannt. Man denkt sich: geschafft! Ich muss nie mehr durch diese Quälerei gehen und so viel opfern. Und schon kommt das nächste Werk und es geht von vorne los.
LJ: Wir bekommen also nicht die Geschichte von Böttger erzählt – was steht in dem Text?
VZ: Es geht um den Schaffensprozess, aber auch um Echtes und Falsches, um Wahrheit und Fake. Aleš Šteger hat viel über Böttger gelesen und geforscht, dann aber hat er andere Dinge mit diesem Thema in Verbindung gebracht. Beispielsweise hat er auf Bali den Kecak-Tanz gesehen. Eine Touristenattraktion. Dabei scheint es, als würden die Touristen Zeugen eines uralten Rituals, in dem Männer im Kreis sitzen und sich in einer bestimmten Choreographie vorbeugen und wie Affen schreien. Es handelt sich aber in Wirklichkeit gar nicht um ein originäres Ritual, sondern um eine Nachbildung, um ein „best of“ von alten Ritualen, die der deutsche Maler und Forscher Walter Spies 1930 zusammengestellt hat. Kecak ist also nicht einmal hundert Jahre alt, doch alle Touristen denken, es handle sich um ein Ursprungs-Ritual. Für Aleš Šteger gibt es da eine Parallele zu Böttgers Gold- bzw. Porzellanmacherei. Es geht ein bisschen ums Faken, wie es oft bei Künstlern der Fall ist – der Künstler erzählt eine Lüge, um die Wahrheit anzudeuten. Und im Fall von Böttger hieß das: Er wollte Porzellan faken, also irgendwie nachahmen, und herausgekommen ist etwas Richtiges: Meißner Porzellan ist von höchster Qualität. Und heute gehören die Chinesen zu den besten Meißner Kunden.
LJ: Dieser Bali-Tourismus-Fake kommt in Deinem Stück vor?
VZ: Das ist eine der musikalischen Ebenen. Porzellan musikalisch zu formulieren, fiel mir zunächst schwer. Kecak gibt mir eine rhythmische Vorlage, die ich dann in unterschiedlichen Tempi aufgreife und darstelle, auch im Ritardando und Accelerando. Am Ende entsteht eine Art „ewiges Accelerando“ als Verwandlungsmoment, das dann in einem echten Porzellanklang endet. Denn die Meißner Porzellanmanufaktur hat für das Stück Instrumente aus Porzellan zur Verfügung gestellt.
LJ: Als Du mit dem Stück begonnen hast, war noch nicht klar, dass es diese Porzellanklänge geben würde, oder?
VZ: Erst im Laufe der Arbeit kam ich auf die Idee, die Meißner Manufaktur zu kontaktieren. Der ehemalige Professor der Dresdner Musikhochschule Günter Schwarze, bei dem ich früher als Erasmus-Stipendiat Unterricht hatte und der als Spezialist für Meißner Porzellanglocken gilt, hat mir viele Informationen v.a. über die Porzellanglocken gegeben. Und so kam ich bestens vorbereitet zu einem Termin in der Meißner Porzellanmanufaktur.
LJ: Ende Oktober 2018 bist Du zusammen mit einem Schlagzeuger nach Meißen gefahren – was gab es dort zu tun?
VZ: Ich war mit dem Schlagzeuger Alexej Bröse von der Dresdner Philharmonie in der Manufaktur und wir haben die Glocken im Glockenlager gemeinsam angeschaut, angeschlagen, angestrichen. Ich habe für mein Stück eine Glockenreihe von 19 Glocken ausgewählt: Nicht ganz zufällig die Zahl 19, denn es geht ja um das Jahr 2019 bzw. 1719. Zwei Schlagzeuger spielen die Glocken im Stück, jeder hat neun Glocken zu bedienen und in der Mitte gibt es noch eine große Glocke, die beide Interpreten spielen können. Ich finde den Klang der Glocken besonders (und das ging auch dem Schlagzeuger so), weil man ja im Orchester eher an Metall, Holz oder Kunststoff gewöhnt ist. Angestrichenes Porzellan ist selten zu hören. Wir waren beide überrascht, wie vielfältig der Klang ist und auch: wie laut.
LJ: Ich hätte gedacht, dass es ein sehr feiner Klang ist, der nicht lange nachhallt.
VZ: Die Glocken hallen ziemlich lange nach, nicht extrem laut, aber doch präsent. Und je nach Glockengröße ergeben sich unterschiedliche Obertonstrukturen.
LJ: Die Porzellanglocken gab es in Meißen bereits, und sie wurden auch schon musikalisch eingesetzt. Ein anderes Porzellaninstrument wird nach Deinen Vorstellungen extra gebaut.
VZ: Ja, das war meine Idee. Die Wind Chimes, die einen neuen „echten“ Porzellanklang produzieren sollen, werden jetzt gerade gebaut. Wir hoffen, dass alles rechtzeitig zur Uraufführung heil in Stuttgart ankommt… Ich möchte aber noch auf etwas Anderes hinaus, was fürs Porzellanmachen wichtig ist: Porzellan wird gebrannt, in einem Ofen mit hohen Temperaturen. Dafür wurden zu Böttgers Zeiten extra Öfen konstruiert, die solch hohe Temperaturen erzeugen konnten.
LJ: Geht es in Deinem Stück um Hitze?
VZ: Es geht um die Verwandlung von etwas Wertlosen in etwas Wertvolles. Um Transformation und zugleich um den Preis, den man dafür bezahlen muss. Weiße Tonerde etwa hat zunächst kaum Wert – aber wenn dann alle anderen Zutaten: Quarz usw. dazukommen und das Gemisch gebrannt wird, kommt etwas heraus, das sehr teuer ist: „weißes Gold“. Darum geht es letztlich auch in der Kunst: Die Farben des Malers kosten nicht viel, aber das Gemälde ist später vielleicht Millionen wert. Bei der Musik ist es genauso. Tinte und Papier sind nicht besonders kostbar, aber daraus entsteht eine Mahler-Sinfonie, die dann vielleicht ewig gespielt wird.
LJ: Das ist also die Grundidee des Stücks: Es gibt banale Ausgangsmaterialien und am Ende kommt etwas Wertvolles dabei heraus. Heißt das auch kompositorisch: Am Anfang des Stücks gibt es ganz wenig und am Ende etwas Wertvolles?
VZ: Das ist dann doch etwas komplexer, nicht ganz so plakativ. Das sollte man auch nicht beschreiben, sondern besser hören.
LJ: Noch eine dritte musikalische Thematik gibt es in dem Stück, wieder etwas Überraschendes, irgendwie Exotisches…
VZ: Eine Art von Bambusorgel: Bambuso Sonoro. Eine Erfindung von Hans van Koolwijk aus Holland. Es handelt sich um Bambus-Pfeifen, die auf eine komplexe Weise miteinander und mit dem Gebläse verbunden werden. Es ist ein Instrument, das vieles kann, was der „normalen“ Orgel nicht möglich ist: Glissandi zum Beispiel und komplexe Oberton-Überblasungen. Dieses Instrument symbolisiert für mich das Prozesshafte; es ist wie ein Ofen, in dem Porzellan gebrannt wird.
Diese Orgel habe ich bei den Weltmusiktagen 2003 in Slowenien kennengelernt, dort wurde sie in einer Galerie ausgestellt und vorgeführt. Ihren Klang habe ich seither mit mir herumgetragen, ohne ihn zu verwenden – bis ein Pfeifton in einem Konzert des SWR Vokalensembles mich im Oktober darauf brachte, dass ich genau diesen Orgel-Ofen für mein Stück brauche. In diesem Moment nahm das neue Stück eine Wendung.
LJ: Das heißt, jemand spielt jetzt diese Orgel?
VZ: Nein, die Bambusorgel wird auf verschiedenen Ebenen durch andere Instrumente imitiert. Der Prozess ihrer spezifischen Klang-Entwicklung wird im Stück paraphrasiert.
LJ: Hast Du denn Zugang zu dieser Orgel?
VZ: Der Künstler hat mir damals eine CD gegeben, ich habe den Klang analysiert und ich weiß, wie das Instrument gebaut ist. Die Orgel hat keine Tastatur, sie wird mit Ventilen bedient, es gibt Glissandi und Oberton-Glissandi, und es entsteht ein Klang, der meinen harmonischen Strukturen sehr nah ist, die auch auf einer Obertonreihe basieren.
LJ: Wann wurde die Bambusorgel gebaut?
VZ: Das ist noch nicht so lange her, das Instrument ist vielleicht 25 Jahre alt.
LJ: Böttger – Kecak – Bambusorgel: Wir springen also quer durch die Geschichte in Deinem Stück.
VZ: So ist es. Quer durch die Geschichte tatsächlicher und vermeintlicher Schaffensprozesse.