BLÜHEN (2022)
BLÜHEN (2022)
Opera in 7 pictures
Libretto by Händl Klaus
orchestra: 1*.1.1*.1*.sax*/1.1.1.1/2perc/pno*/acc/arp*/gtr*/1.1.1.2.1
solo voices: sop, mez, ten, bar, bas
choir: 3S.3A.3T.3B
duration: 80 minutes
première: January 22, 2023, Oper Frankfurt
Ensemble Modern
Conducted by Michael Wendeberg
Stage direction: Brigitte Fassbaender
Aurelia: Bianca Andrew, mezzo-soprano
Anna: Nika Gorič, soprano
Ken: Michael Porter, tenor
Dr. Muthesius: Alfred Reiter, bass
Edgar: Jarrett Porter, baritone
Commissioned by Oper Frankfurt
BLÜHEN
score preview
REVIEWS
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Opernwelt Magazine 03-2023:
Im Schatten blut’ger Mädchenblüte
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ABOUT
BLÜHEN – sieben Bilder
1.
Ein Frühlingsmorgen. Aurelia, seit zehn Jahren verwitwet, ruft ihre Tochter Anna, eine Malerin, zu sich in den Garten: Der morsche alte Baum steht viel zu früh in seiner letzten, übertriebenen Blüte: der Angstblüte. Aurelia verbrachte als Kind ganze Tage darin; jetzt malt sie sich aus, daß ein Span, den sie sich damals einzog, seither im Körper wandere und eines Tages ihr Herz erreichen und zu ihrem Tod führen werde. Sie liebt diesen Baum immer noch kindlich und wollte ihn als junge Mutter auch ihrer Tochter nahebringen; Anna aber fühlte sich darin ausgeliefert, traumatisch von der Mutter getrennt. Jetzt bittet diese sie, ihn für sie als Bild festzuhalten – auch seinen Geruch, was ein Leichtes für die abstrakt malende Anna ist, die auch von der Bitte ihres Bruders Edgar erzählt, ihn als Akt zu malen – was sie, körperfeindlich, ausschlug. Aurelia verteidigt den naturnah fühlenden Sohn, der später den Baum fällen und den wuchernden Garten, den Aurelia vorsätzlich verwildern läßt, mit der Sense mähen soll. – Als unerklärliche Tropfen aus dem blauen Himmel fallen, ists Schweiß von Aurelias Stirn; sie leidet unter den Wechseljahren. – Aurelia will einen blühenden Zweig des Baums auf das Grab ihres Mannes legen.
2.
Angeleitet von Ken Keaton, einem Studenten aus Kalifornien, der Edgars Englisch aufmöbeln soll, liest dieser eine Passage aus Poe’s Untergang des Hauses Usher – als Mutter Aurelia mit britischen Gurkensandwiches eintritt, um die beiden zu stärken. Sie tut es in Kens Sprache; als junge Frau verbrachte sie ein Jahr in London und pflegt nun ein ausgezeichnetes Englisch. Schwer zu sagen, ob sie einfach den Dialog in der vertrauten Fremdsprache genießt – oder nicht auch merklich mit Ken flirtet; Edgar will jedenfalls mit ihm allein sein. Doch Aurelia bleibt noch ein wenig, analysiert heiter Kens amerikanische Sitte, das Brot auf dem Teller eßfertig in lauter mundgerechte Bissen zu zerschneiden, ehe er endlich zur Gabel greift, und bietet ihm, der sich mit der Aussprache ihres Nachnamens offenbar schwertut, das Du-Wort an: Call me Aurelia.
3.
Es bricht aus Aurelia heraus – vor Anna schüttet sie ihr Herz aus, gesteht ausgerechnet der lustfeindlichen Tochter ihre Liebe zu Ken – und damit auch ihre Scham wegen des großen Altersunterschieds, ihre Angst vor seiner Zurückweisung. Anna, die mit einem Klumpfuß geschlagen ist und sich selbst mit Herzenskälte vor allen Liebesgefühlen und einer solchen Zurückweisung schützt, stellt die Verliebtheit ihrer Mutter schonungslos in Frage. Doch sowie Aurelia von Ken spricht, seine Eigenheiten, sein Bewegungsmuster, sein Dasein beschreibt, ist im Raum nichts anderes als dieser Mensch mit seinen geliebten Eigenheiten, seinem geliebten Bewegungsmuster, seinem geliebten Dasein – Ken in Aurelias reiner, lodernder Liebe. Jetzt ermutigt Anna ihre Mutter, ihn damit zu konfrontieren.
4.
Getarnt als englische Sprachlektion, vollzieht sich das Wunder – Ken erwidert Aurelias Liebe. Plötzlich sind Frau und Mann ein verschlungen sich küssender Körper. Kaum halten sie inne, verbinden auch zehn Trauerjahre die beiden, wie sie einander erzählen: Vor zehn Jahren starb Aurelias Mann, vor zehn Jahren verlor Ken seine Mutter. In seinen Hosentaschen stößt Aurelia auf hartes Brot, mit dem ihr Liebster auf dem Heimweg eigentlich die Schwäne füttern will. Es ist warm von seinem Körper und duftet nach ihm; hungrig ißt sie davon – es mündet in weitere Küsse.
5.
Aurelia erlebt das vollkommene körperliche Glück – die Monatsblutung ist zurückgekehrt und also ihre Jugendlichkeit; ein Phänomen, das sie kaum fassen kann – das sie mit Anna teilen will. Diese weist die Mutter in ihre Schranken, doch Aurelias Glück ist viel zu groß für eifersüchtige Einwände. Sogar eine neuerliche Mutterschaft scheint denkbar. Als Ken ins Zimmer tritt, gibt es für Aurelia nur noch ihn – und das glückliche Erschrockensein.
6.
Das Schrecklichste tritt an die Stelle des Glücks, da Aurelias Blut unaufhörlich fließt. Professor Muthesius, ein mit Aurelia befreundeter Arzt, diagnostiziert Tumore des Uterus und des Ovars; Aurelias Lebenserwartung beträgt nur noch wenige Wochen. Aurelia selbst hat es geahnt. Im Schock, nach außen hin gefaßt – nimmt sie das Todesurteil entgegen. Auf Aurelias bange Frage, ob ihre spät entflammte Leidenschaft die Krankheit ausgelöst haben könnte, antwortet Muthesius mit einem entschiedenen Nein. Es sei nur da wie dort das Blut, das sich zeige – in der Fruchtbarkeit wie in der Krankheit. – Muthesius hält Aurelias kalte Hand. Ihre letzte Frage richtet sich an sie selbst: “Wie soll ich noch leben?”
7.
Aurelias Abschied vollzieht sich in schmerzlichen Rückungen und Sprüngen; die Musik schafft den durchlässigen Raum zwischen Leben und Tod, den Anna, Edgar, Ken und Muthesius mit ihr teilen. Ein Chor artikuliert Aurelias suchendes Unterbewußtsein. Jetzt, ganz auf sich allein zurückgeworfen, hat Aurelia – wenn sie sich an die andern wendet – nur noch ihre nackte Sprechstimme, die kaum zu hören ist. Letzte, erste Gedanken werden ausgesprochen. Die Zeit ist aufgehoben, der Trost ein schmerzlicher: “daß das Sterben in der Welt ist”. – Das Singenwollen ist stärker, es erfaßt Aurelia. Der Baum blüht in seiner Angst. Aurelia vollzieht den letzten stillen Schritt, das Wort ist: offen.
Händl Klaus